Mehr als 100 Skelette, Schwerter, Schmuck und Amulette: Münchner Archäologen haben unter der Josef-Retzer-Straße einen Sensationsfund gemacht. Sie haben einen riesigen Friedhof mit vielen geheimnisvollen Gräbern und Schätzen entdeckt.
Ratko, Mario und Olli , die Archäologen, die vor Ort gearbeitet haben, haben sich einen ganzen Nachmittag für uns Zeit genommen, uns viel erklärt und uns herumgeführt. Das Interview könnt ihr euch unten anhören.In einem Grab hat sich ein Krieger sogar zusammen mit seinem Pferd begraben lassen! Auch der Gründer von Pasing, der legendäre Paoso, liegt hier möglicherweise. Einige ganz Lustige hatten zunächst versucht, die Forscher mit kleinen Streichen reinzulegen…
Ein Mittelalter Friedhof in Pasing!
Eigentlich sollten auf der Josef-Retzer-Straße Wohnungen gebaut werden. Da aber in der Straße Bauarbeiter immer wieder menschliche Knochen gefunden worden waren, mussten zunächst die Archäologen das Gelände untersuchen. Die Forscher rechneten damit, auf zehn, vielleicht zwölf Gräber zu stoßen. Doch dann die große Überraschung: Zwei Meter unter der Erd-Oberfläche liegt ein riesiger Friedhof aus dem frühen Mittelalter mit bis zu 1000 Gräbern und vielen rätselhaften Schätzen!
Über 1000 Gräber…
Rund 140 Skelette haben die Leute der Münchner Firma „X-Cavate Archaeology“ bisher gefunden. Insgesamt liegen unter der ganzen Straße und den Häusern wahrscheinlich über 1 000 Gräber. In einer Grube lag ein Mann mit seinem Schwert, Messer, Sporen, Lanze, seinem Schild – und seinem Pferd! All diese Sachen waren damals sehr wertvoll und teuer.
Der Mann muss also ein Dorfhäuptling oder eine Art Ritter und sehr reich gewesen sein. „Die Menschen haben damals geglaubt, wenn man ins Totenreich eintritt, sollte man die Sachen dabei haben, die man im Leben besessen hat, damit die Leute dort wissen, wie mächtig und reich man war“, erklärt Ausgrabungsleiter Mario Hölzl. Eine ganz schön komische Vorstellung – sollen wir dann unseren teuren Laptop und unseren Sportwagen mit ins Grab nehmen? Handwerker haben oft ihr Handwerkszeug in ihre letzte Ruhestätte legen lassen. Und manche Leute haben sich sogar mit Essen begraben lassen, zum Beispiel mit einem Becher Honigwein – als Wegzehrung für die Reise ins Totenreich… Wir würden dann doch unsere Lieblingssüßigkeiten bevorzugen.
Im Grab eines kleinen Mädchens fanden die Forscher bunte Glasperlen, Bronze-Schmuck und andere Kostbarkeiten. Das Mädchen war wohl eine Art kleine Prinzessin. Bei einer Dame lagen Kamm, Armreifen und 344 Perlen aus buntem Glas und Bernstein. Sie muss ganz besonders reich gewesen sein! An den Grab-Beilagen erkennen die Forscher übrigens auch, aus welchem Jahrhundert das Grab stammt. Denn schon damals gab es bei Kleidung und Beigaben aktuelle Moden. Die Menschen im fünften Jahrhundert haben sich anders gekleidet und hatten andere Sachen als die Menschen im 6. Jahrhundert. Durch die Beigaben wissen die Archäologen auch, dass die Menschen damals schon genauso intelligent waren wie wir. Denn die Schwerter, Glasperlen und Schilder sind so gut und raffiniert hergestellt.
Pasing ist älter als bisher angenommen
Die Menschen wurden zwischen 450 und 700 n. Chr begraben. Durch den Fund wissen wir jetzt also, dass Pasing deutlich älter ist als bisher angenommen. Im siebten Jahrhundert müssen Grabräuber die Gruben aufgegraben und einiges daraus gestohlen haben. Denn in vielen Gräbern fehlten die Schätze wie Schmuck, Ketten und Besteck. Dafür lagen bei einigen Skeletten einige alte Münzen – allerdings römische und nicht germanische Münzen. „Das müssen Leute von heute gewesen sein, die uns Streiche spielen wollten und die Münzen in die offenen Gräber geworfen haben“, sagt Mario lachend. Die Experten sind darauf aber natürlich nicht herein gefallen..
Wie Archäologen arbeiten oder: Achtung, Regen!
Insgesamt haben rund zehn Archäologen seit Ende März in dem Gelände gegraben „Zuerst mit großen Schaufeln, je näher man ans Skelett kommt, desto kleiner werden die Werkzeuge“, erklärt Mario Hölzl. Skalpelle und Pinsel zum Beispiel und am Schluss nur noch ganz, ganz kleine Pinsel. Zwei ganze Tage braucht ein Archäologe so, um ein einziges Skelett auszugraben. Bei bisher 140 Funden in der Straße ganz schön viel Arbeit.. Da es oft geregnet und gestürmt hat, mussten die Archäologen ihre Arbeit oft unterbrechen. „Manchmal wurden Knochen und andere Sachen richtig weggeschwemmt“, erzählt Ratko. Einmal wurde sogar das Zelt der Archäologen richtig weggeweht!
Das Ausgraben ist aber natürlich längst nicht die einzige Arbeit der Forscher: Mit Drohnen nehmen sie Bilder von dem Gelände auf, dass Sie untersuchen wollen und können so auch unter die Erde sehen. Dadurch wissen Sie, ob hier etwas zum Ausgraben liegt oder nicht. Alles, was die Forscher raus gefunden haben, speichern sie zunächst in einem speziellen Computer-Programm. Die Daten bewahren sie am Ende der Arbeit aber auf Papier sowie Dias (eine ältere Art von Foto) und nicht digital auf. „Denn Computer-Programme und Systeme ändern sich schnell und unsere heutigen Dateien können die Menschen in 30, 40 Jahren wahrscheinlich nur noch schwer lesen.“ Nach dem Ausgraben untersuchen die Forscher auch, ob es sich um ein Männer- oder Frauen-Skelett handelt. Das können Sie unter anderem am Becken sehen. Dass ist nämlich bei Frauen für die Geburt robuster gebaut. Bei Männern sind die Muskel-Ansätze stärker ausgebildet, der Kiefer viel markanter sowie der Kopf robuster und größer. Dass letzte hat sich bis heute geändert, glauben wir… Die Männer trugen damals übrigens meist lange Haare und achteten sehr auf ihre Pflege. Auch jeder Mann hatte immer einen Kulturbeutel dabei, mit Kamm, Nagelschneider, Ohrlöffel und einigem anderen.
Nach dem Ausgraben fotographieren und dokumentieren die Archäologen dann ihre Funde. Sie sammeln die Knochen und Schätze in Tüten und nummerieren sie. Die Funde gehören zunächst demjenigen, der auf dem Gelände baut. Denn der muss auch die Arbeiten bezahlen. Die Forscher hoffen aber, dass zumindest einige Sachen am Ende in die historische Staatssammlung und dann ins Museum kommen. So könnten auch nächste Generationen sie mit der dann modernen Technik bewundern und untersuchen.
Vielen Dank an unsere Interviewpartner für eure Zeit. Dieser Einsatz war uns absolut außergewöhnlich! Echt toll zu wissen, dass solche freundlichen und leidenschaftlichen Menschen unser historisches Erbe bewahren!